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RhM 160 (2017) 109–112 Miszellen 109 ANNÄHERUNG AN EINE FRAU: DOMINA TE AMO ALIAS DERIDO* Schlüsselwörter: Fibel, römische Kleininschrift Dass kleine Geschenke die Freundschaft erhalten können, ist eine allgemein verbreitete Vorstellung mit der daraus sich ergebenden Praxis. Beispiele dafür lassen sich aus allen Kulturen finden. Ein sprechendes Beispiel aus der römischen Kaiserzeit ist vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten in einer villa rustica in Güglingen-Frauenzimmern im Landkreis Heilbronn im nördlichen Baden-Württemberg zu Tage gekommen. Es ist eine kreisrunde Fibel von 2,1 cm Durchmesser, die wie ein bandförmiger Ring gestaltet ist. Dort ist eine Inschrift einpunziert, die von der Erstherausgeberin in folgender Weise gelesen wurde:1 DOMINATEAMO • ALIASDEND, was sie in folgender Weise auflöste: DOMINA TE AMO A(nimo) Li(benti) A(micae) S(uae) De(ae) N(omine) D(at). Das Überraschende an dieser Auflösung ist, dass der Dedikant zweimal in unterschiedlicher Form spricht: Zuerst direkt in der Ich-Form, danach aber offeriert er sein Geschenk in der dritten Person. Ob er sein Geschenk a(nimo) li(benti) statt a(nimo) li(bente) übergeben hat, muss man offen lassen. Beide Formen sind möglich, auch wenn libente grammatikalisch die Normalform darstellt. Diese Inschrift ist vor kurzem in eine Sammlung von Kleininschriften aus den Limesgebieten aufgenommen worden, in unveränderter Form und mit den gleichen Auflösungen bei den angeblichen Abkürzungen;2 auch bei der Übernahme in die AE 2012 unter der Nummer 1012 wurde an Text und Auflösung nichts verändert. Während der erste Teil der Inschrift unmittelbar verständlich ist, bereitet der zweite in der publizierten Form erhebliche Probleme. Das betrifft schon allein die Funktion. Die Fibel war ohne Zweifel als Geschenk für eine Frau gedacht, doch der zweite Teil passt in der rekonstruierten Auflösung dazu nicht. Vor allem versteht man nicht, was in diesem Kontext de(ae) n(omine) bedeuten soll. Brauchte der Liebende die Nachhilfe einer Göttin? Der Venus, wie die Editorin der Fibel meint? *) Andreas Pangerl danke ich, dass er mich auf diese Fibel hingewiesen und den Abdruck des Fotos genehmigt hat. 1) J. Ronke, Domina te amo – vita privata im Lichte einer Kleininschrift, Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes 22, 1993, 143 ff. 2) S. F. Pfahl, Instrumenta Latina et Graeca Inscripta des Limesgebietes von 200 v. Chr. bis 600 n. Chr., Weinstadt 2012, 125, ohne irgendeine weitere Erklärung. Siehe auch EDCS-ID: EDCS-67400107. 110 Miszellen Versucht man, die punzierte Inschrift nochmals nach dem durchaus klaren Photo nachzulesen, dann ergibt sich freilich ein deutlich anderer Text. Denn die Buchstaben sind folgende: DOMINA TE AMO ALIASDERIDO Bisher wurde am Ende DEND gelesen; doch steht dort ganz eindeutig kein N, vielmehr ist die Schräghaste eines R weit nach rechts unten gezogen und direkt mit einem folgenden I verbunden worden, wodurch der Eindruck entstehen konnte, es handle sich um ein N. Ferner folgt nach dem klar erkennbaren D aber auch noch ein O, das zwar kleiner geschrieben ist als die vorausgehenden Buchstaben; doch es ist nicht wesentlich kleiner als das O in AMO.3 Mit dieser Neulesung aber ergibt sich ein völlig anderer Text. Er besteht aus zwei Teilen: Zuerst beteuert der Sprecher: Domina te amo, um dann diese Aussage mit Nachdruck zu verstärken, indem er erklärt: alias derido. Diese Neulesung eines schon länger bekannten Zeugnisses ist durch eine weitere, erst seit kurzem bekannt gewordene Scheibenfibel angeregt worden. Diese besteht nicht nur aus einem Ring wie die eben besprochene; sie ist vielmehr als volle Scheibe gestaltet und zeigte ursprünglich in der Mitte einen Knopf innerhalb eines Kreises, der heute nicht mehr existiert. Auf dem um diesen inneren Kreis verlaufenden Band, das außen von einem simplen Rand eingefasst ist, steht eine Inschrift, deren Anfang und Ende dort, wo sich beide fast berühren, durch einen einfachen senkrechten Strich getrennt sind: DOMINA TE AMO ALIAS DERIDO = Domina te amo, alias derido. 3) Die Editorin (Anm. 1, siehe S. 144 Spalte 1 und nochmals 2) versteht das O als Punktmotiv-Füllsel am Ende der Inschrift. Miszellen 111 Der Text auf dieser neuen Fibel entspricht also exakt dem, der auf der Ringfibel aus Güglingen-Frauenzimmern gelesen werden kann. Da die Herkunft der neuen Fibel nicht bekannt ist, lässt sich nicht sagen, ob es sich bei der Formulierung vielleicht um eine regionale Erscheinung des ehemaligen Dekumatlandes handelt, oder vielleicht eher um eine Aussage, die als ein Allgemeingut in den hochkaiserzeitlichen Gesellschaften mancher Provinzen verbreitet war. Die beiden Fibeln waren zweifellos als Geschenk für eine Frau gedacht. Frauen als domina zu bezeichnen, war weithin üblich. Das konnten die Damen des kaiserlichen Hauses sein,4 ebenso die Herrinnen von Sklaven oder die Patroninnen ehemaliger Sklaven.5 Doch letztlich konnten Frauen jeglicher sozialer Stellung so bezeichnet werden. Es konnte die Ehefrau sein, ebenso aber auch jede andere Frau, für die ein Mann sein Interesse kenntlich machte. In einer Grabinschrift aus Kampanien leitet ein Felicio den Text für seine Gattin Libera ein mit den Worten Diis Manibus dominae mea[e].6 In vielen weiteren Grabinschriften erscheinen Frauen, die von ihren Ehemännern als domina bezeichnet werden. Aber ebenso werden auch Frauen, mit denen Männer nicht legal verbunden sind, als domina benannt. Im drastischen Kontext eines Graffito spricht ein Anonymus von einer Liebesnacht mit seiner domina in Pompei.7 In einem weiteren Graffito aus Pompei bittet ein Secundus seine Prima, seine domina, ut me ames.8 Die Inschriften auf den zwei Fibeln zeigen weder, wer die Geliebte ist, noch wer sie verehrt. Vielleicht wurden derartige Fibeln mit den nichtpersonalisierten Texten erst im Einzelfall hergestellt. Doch ist es ebenso denkbar, dass sie vorproduziert waren und nur noch gekauft werden mussten, wenn ein Liebhaber oder Ehemann seiner Angebeteten ein Geschenk oder ein besonders deutliches Versprechen machen wollte.9 Der erste Teil der Fibelaufschrift ist eher konventionell; te amo findet sich öfter auf Gegenständen, die für eine Geliebte bestimmt waren, so etwa auf einem Ring aus Bonn.10 Auf einem anderen Ring wird die Reziprozität betont: Amo te, ama me.11 Aus Nasium stammt ein Ring, auf dem der Satz eingraviert ist: Merito te amo;12 4) So etwa für Ulpia Severina, die Frau von Aurelian (CIL II/14, 2, 927), für Helena, die Mutter Constantins (CIL VI 1134–1136), oder für Fausta, die Frau Constantins (AE 2007, 354). 5) CIL II 957: Theodorus Diogenis vicarius Firmiae Epiphaniae dominae sanctissimae d(ono) d(at). Vgl. CIL VI 9989. 23821: D(is) M(anibus) Paramuthi Traiana do/mina servo merenti fecit. 6) AE 1987, 218. Siehe auch CIL V 4612. 6039, CIL VI 11458. 14351, oder AE 1999, 815, mit einer vergleichbaren Formulierung in einer christlichen Grabinschrift. 7) CIL IV 9246: [Hic] ego cum domina resoluto clune [p]er[e]gi [noctem, se]d versu[s] scribere [turp]e fuit. 8) CIL IV 8364. 9) Bei mehreren Hülsenspiralfibeln oder Hülsenscharnierfibeln, die sämtlich aus dem Bereich der Belgica stammen, hat K. Matijević, ZPE 175, 2010, 263 f. darauf hingewiesen, sie könnten alle aus derselben Werkstatt stammen. 10) CIL XIII 10024, 39a. 11) CIL XIII 10024, 40. 12) CIL XIII 10024, 43a; auf 10024, 43b lautet der Text leicht variiert: Amo te merito. 112 Miszellen auf einem anderen Ring, der aus Samarobriva (heute Amiens) stammt, bekennt einer (oder eine?) reumütig: Parum te amo.13 Oder ist der Ring ein Abschiedsgeschenk nach einer Trennung? Günther E. Thüry hat vor einiger Zeit eine Reihe von hier thematisch einschlägigen lateinischen Kleininschriften gesammelt und interpretierend vorgelegt.14 Er zitiert u. a. folgende Aussagen: s[i a]mas, pignus. amore amanti; quod vis, ego volo; uror amore tuo; [o]pstipe, si amas; succurre amanti, si me amas; ave domina, siteo. Schließlich erklärt ein Liebender auf einer Fibel aus Carnuntum frei heraus: Non pec(c)at, qui te amat.15 Die beiden Fibeln bringen eine interessante Variante zu all diesen Versprechungen und Wünschen; der Text ist drastisch wie die zitierten, wenn auch in anderer Weise.16 Vielleicht ist der Text durch ein spezielles Geschehnis verursacht worden, das einer umso stärkeren Antwort von Seiten des Mannes bedurfte. Ob die domina der Versicherung geglaubt hat? Man muss nicht unbedingt davon ausgehen. Köln We r n e r E c k 13) CIL XIII 10024, 45. 14) G. E. Thüry, Römer sucht Römerin. Liebeswerbung in römischen Kleininschriften, Pegasus-Onlinezeitschrift 4,1, 2004, 54 ff. Frühere Sammlungen von Inschriften auf Fibeln, allerdings nicht mit Konzentration auf Liebesfibeln, bei G. Behrens, Römische Fibeln mit Inschrift, in: G. Behrens / J. Werner (Hrsg.), Reinecke Festschrift, Mainz 1950, 1 ff. Vgl. auch Th. Becker / M. Scholz, Eine Scheibenfibel aus Hungen-Inheiden (Lkr. Giessen) und die Besatzungen der Numerus-Kastelle am Taunus- und Wetteraulimes in severischer Zeit, in: Honesta missione. Festschrift für Barbara Pferdehirt, Mainz 2014, 169 ff.; M. Wullschleger, Eine römische Fibel mit Liebesinschrift aus der Scharlenmatte in Flumenthal, Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solothurn 13, 2008, 44 f. 15) G. Fitz, Fibeln mit Liebesinschriften, Römisches Österreich 11/12, 1983/ 84, 41 ff.